Tipps für die Testleser*innen-Auswahl

19. Juni 2022 • 20:28 Uhr

Bevor ich mein erstes Manuskript beendet habe, wusste ich nichts über diese Phase auf dem Weg zum fertigen Buch. Ich wusste noch nicht einmal, dass es sie gibt. Geschweige denn wusste ich, was da passiert … mit meinem Manuskript und mit mir … als damals angehende oder besser gesagt »frischgebackene« Autorin.

Der Drang, mit dem ersten Teil meiner Romanreihe »Mimis Welt« hinauszugehen, war sagenhaft groß. Endlich würden andere Menschen meine Geschichten lesen. Endlich bekomme ich Feedback. Ich habe mich wahnsinnig auf die Kritik gefreut. Und ich muss gestehen, ich habe sehr viel falsch gemacht bei der Veröffentlichung meiner Bücher, aber bei der Testleser*innenauswahl war ich großartig. 

In meiner kompletten Naivität und Unbedarftheit startete ich einen Aufruf auf Instagram, auf den viel mehr Menschen reagiert haben, als ich es erwartet habe. Ich traf keine wirkliche Auswahl, sondern verschickte mein Manuskript an alle, die Interesse bekundeten und Zeit hatten. Das mag auf den ersten Blick verstören, aber ich lande mit diesem Geständnis direkt bei meinem ersten Ratschlag:

TIPP 1: Finde eine gute Mischung aus Leser*innen innerhalb deiner Zielgruppe und absolut zielgruppenfernen Leser*innen. 

Ich persönlich war beispielsweise so überrascht davon, dass sich tatsächlich auch Männer für meine Mimi interessierten, sodass ich nicht ablehnen konnte. Diese Entscheidung habe ich nicht eine Sekunde lang bereut. Der hartgesottene Thriller-Autor baut gemeinsam mit mir an der Heldenreise meiner weiblichen Protagonistin und wünscht sich noch immer ein Happy End. Der ausgebildete Prosaist mit einem Hang zur gehobenen Literatur und einer Schwäche für Lyrik zerlegt meine Metaphern wie das Sonntagshühnchen. Von den Leser*innen innerhalb der Zielgruppe bekommt man ein ehrliches Feedback, ob sie die Geschichte, die man geschrieben hat, lesen wollen oder nicht.

TIPP 2: Lass dir, verdammt noch mal, nichts gefallen.

Natürlich dürfen wir nicht erwarten, dass die Testleser*innen seitenlange Lobeshymnen formulieren und jede Manuskriptseite mit Herzen und Smileys versehen ist. Das würde weder das Manuskript noch uns Autor*innen voranbringen. Aber ich habe leider auch die Erfahrung gemacht, dass manche Menschen nicht davor zurückschrecken, Autor*innen persönlich anzugreifen. Ich lernte also, a) mich rechtzeitig von dieser Art von Testleser*innen zu distanzieren und b) sorgfältiger auszuwählen. Das bringt mich gleich zum nächsten Ratschlag.

TIPP 3: Setze auf Bewährtes und wage Neues.

Für mein mittlerweile drittes Manuskript habe ich jene Testleser*innen erneut um Unterstützung gebeten, von denen ich weiß, dass sie ehrlich, kritisch, unheimlich bemüht und wertschätzend sind. Wenn ich diesem engen Kreis etwas von mir schicke, habe ich keine Angst. Denn, wenn von einer oder einem der Kommentar »Das ist der größte Blödsinn, den ich je gelesen habe« zurückkommen würde, wüsste ich, dass ich den größten Blödsinn geschrieben habe, den er*sie je gelesen hat. Das ist beruhigend. Das ist wundervoll. Nur so funktioniert es. Und ich weiß, dass die Testleser*innen aus diesem kleinen Kernteam eine solche Botschaft so wohlwollend, aber auch eindeutig wie möglich kommunizieren würden. Dennoch nehme ich gern für jedes neue Projekt eine oder einen noch nie dabei gewesene*n Testleser*in dazu. Das ist, denke ich wichtig, um nicht festzufahren.

TIPP 4: Lass dir Testleser*innen empfehlen.

Ich würde wahrscheinlich nicht noch einmal den oben genannten Weg des ziellosen Suchens und Auswählens gehen, auch wenn mir sehr viel Positives entgangen wäre. Denn mal ehrlich: Ich hatte einfach riesiges Glück! Mittlerweile würde ich mir bekannte Autor*innen oder Leser*innen, die für mein Manuskript in Frage kommen, direkt fragen oder mich auf Empfehlungen verlassen. Die meisten veröffentlichten Autor*innen kennen eine Reihe von Testleser*innen und teilen bestimmt gern ihre Erfahrungen. 

TIPP 5: Sei lieb!

Egal, ob du mit deinen Testleser*innen gute oder schlechte Erfahrungen gemacht hast, bedanke dich und schätze die Zeit und Arbeit, die sie*er in dein Werk gesteckt hat. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Unterstützung angeboten wird. Auch wenn ihr persönlich vielleicht keinen Draht zueinander findet, ist es doch für alle Beteiligten eine wertvolle Erfahrung. Beim nächsten Mal hat man ja die Möglichkeit, die Entscheidung anders zu treffen. 

TIPP 6: Wie viele Testleser*innen brauche ich eigentlich?

Das ist wohl Geschmacksache. Es sollten mehr sein als die beste Freundin und die Großtante. Aber ob es nun vier oder zehn sind, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Zeit du für diese Phase eingeplant hast. Denn jede Rückmeldung erfordert ein erneutes Eintauchen in das Manuskript und eine intensive Auseinandersetzung mit den Kommentaren und dem Werk. Ich pendelte mich auf 5-6 Testleser*innen ein und plane sehr viel Zeit für diese Phase ein. Apropos Zeit, hier der letzte Ratschlag.

TIPP 7: Keinen Stress 

Gib deinen Testleser*innen ausreichend Zeit. Häppchenweises Zuschicken einzelner Kapitel und strenges Auf-die-Finger-Klopfen drei Tage vor vereinbartem Rückmeldetermin sind unangebracht. Die Testleser*innen sind eine repräsentative Gruppe deiner Leser*innen und brauchen keinen Druck. Lesen soll Spaß machen und der ist möglicherweise ohnehin schon etwas getrübt, weil das eine oder andere Fehlerchen auf die Leser*innen wartet. Da ist es selbstverständlich, dass man ihnen Wertschätzung, Flexibilität und Freundlichkeit entgegenbringt. Testleser*innen sind wichtig für die Entwicklung des Buchs und gute Menschen. Sie unterstützen Autor*innen dabei, bessere Bücher zu schreiben, stellen kostenlos ihre Zeit und ihr Wissen zur Verfügung und dafür sollten wir sehr dankbar sein. 

Ich sage hier von Herzen DANKE (in alphabetischer Reihenfolge): Tom U. Behrens,  Nella Beinen, Roland Knecht, Monika Lüthi, Jan Olaf Moede, Susanne Pilastro und allen weiteren, die mich schon in den Testleser*innenphasen begleitet haben.